Das Pfarrhaus in Böhmisch-Domaschlag

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Eines kann man den Pfarrern in Böhmisch-Domaschlag/Domaslav nicht vorwerfen, nämlich dass sie Duckmäuser gewesen wären. Bereits im 15. Jahrhundert verlor Pfarrer Marschik seine Stelle, weil er die Glaubenslehre des Theologen, Predigers und Reformators Jan Hus verbreitete. Nach der deutschen Annexion im vergangenen Jahrhundert hielt Pfarrer Womes die Kinder an, auf christliche Weise zu grüßen, anstatt den Hitler-Gruß zu zeigen. Er hielt sich nicht an ein daraufhin erlassenes Verbot, Religion zu unterrichten, und wandte sich in seinen Predigten gegen die schlechte Behandlung der Tschechen durch das Regime. Im Sommer 1940 wurde er denunziert, von der Gestapo verhaftet und im darauffolgenden Frühjahr nach Dachau deportiert. Nach der Vertreibung, im Jahr 1947, kam der engagierte Pfarrer Hradecký nach Böhmisch-Domaschlag – er gründete ein beliebtes Amateurtheater und begeisterte die neuen Bewohner mit Fußball. Als Gegner des kommunistischen Regimes musst er jedoch bereits 1952 die Gemeinde verlassen. Seinen unmittelbaren Nachfolger nannte man den „Mechanikpfarrer“ wegen seiner Vorliebe für Motorräder. In den sechziger Jahren schließlich kam Pfarrer Španihel in das lange verwaiste Pfarrhaus. Man hatte ihn aus denselben Gründen nach Böhmisch-Domaschlag verbannt, wie man Hradecký zuvor von dort weggeschickt hatte – wegen kritischer Äußerungen über das Regime.

Sankt-Jakobs-Kirche in Böhmisch Domaschlag 2018

Später, in den achtziger Jahren, betreute Pfarrer Chroust die Gemeinde und entwickelte das Pfarrhaus zu einem Treffpunkt für junge Menschen. Er galt – gemessen an der damaligen Zeit – als ziemlich alternativ und war schon deshalb unbequem, weil er junge, oft unangepasste Leute begeistern und zusammenbringen konnte. Das hatte zwar auch ihm die Versetzung nach Böhmisch-Domaschlag eingebracht, aber die jungen Menschen aus den größeren Städten folgten Chroust trotzdem. Sie kehrten immer wieder zurück, auch als der Pfarrer schon nicht mehr in dem Ort tätig war. An die Gemeinschaft, die daraus entstand, knüpfte – ausgehend von einer Idee des Bistums – der Verein Cantate an. Er sollte für leerstehende Gebäude in der Region eine sinnvolle Nutzung finden. Cantate richtete das Pfarrhaus als Veranstaltungs- und Erholungsort für Kinder und Jugendliche, hauptsächlich aus Pilsen/Plzeň, neu aus. Die Gäste entwickelten gleichzeitig ein wachsendes Interesse an der Gegend und ihrer vielfältigen Geschichte.

Cantates Aufgaben in Böhmisch-Domaschlag führte schließlich der Verein o. s. Domaslav fort, der sich im Jahr 1998 gründete. Die Mitglieder kümmern sich bis heute um die Jakobus-Kirche und das Pfarrhaus und organisieren eine Reihe von Kulturveranstaltungen. So finden regelmäßig Literaturtage sowie Aktionen von Landschaftskünstlern statt. Viele waren schon als Kinder regelmäßig in diesem Ort, zum Beispiel im Rahmen von Freizeitaktivitäten oder Ferienlagern. Seit Jahren bemüht sich der Verein um Fördermittel für die Renovierungsarbeiten. Im Jahr 2006 sprang zunächst der von der Bürgermeisterin aus Wolfersdorf/Olbramov, Válová, gegründete Verein Pomozme si sami (Helfen wir uns selbst) ein, später kamen Fördermittel auch vom tschechischen Kulturministerium – allerdings so wenig, dass immer nur ein kleiner Teil des völlig desolaten Dachs repariert werden konnte. So geht das heute noch, an einer Stelle wird repariert, an einer anderen nagt weiter der Zahn der Zeit. Doch die Fortschritte – zum Beispiel das schmucke, rote Dach des Kirchturms – sind nicht zu übersehen. Selbstzweck ist die Renovierung der Kirche nicht, vielmehr geht es dem Verein auch darum, die Versöhnung zwischen den Böhmen deutscher und tschechischer Zunge voranzubringen.

Zunächst mussten die Mitglieder des Vereins den Schlüssel zum Pfarrhaus, in dem schon lange kein Pfarrer mehr wohnt, noch in der Diözesanverwaltung ausleihen. Inzwischen gehört es dem Verein. Der Pilsener Bischof Radkovský hatte sich für den Übergang des Eigentums eingesetzt, bevor er im Jahre 2016 emeritierte. Auf den Verein kam damit eine große Verantwortung zu. Das Pfarrhaus wird schließlich weiterhin von Pfadfindern und Schulkindern für Freizeiten genutzt. Hier können die Kleinen malen und töpfern und es darf auch einmal etwas danebengehen – es ist eben kein feines Hotel. Ganz nebenbei setzen sich die Kinder auch mit der Region und ihrer Geschichte auseinander. Es mag merkwürdig klingen, aber alleine schon der Besuch der alten Kirche ist für sie zumeist etwas Unbekanntes und Abenteuerliches. Das Gebäude kann man für Gruppen übrigens auch mieten.

Altarraum der Sankt-Jakobs-Kirche in Böhmisch Domaschlag 2018

Im Sommer wird das Pfarrhaus während der Wochenenden oft von bis zu zwanzig Vereinsmitgliedern belebt. Anfangs kamen sie vom Bahnhof in Kokaschitz/Kokašice noch zu Fuß hier herauf, mittlerweile mit Fahrzeugen direkt aus Pilsen. Viele haben inzwischen Familien gegründet und bringen – neben Werkzeugen und anderen Utensilien für die Arbeiten am Pfarrhaus und in der Kirche – auch ihre Kinder mit. So kommt auch außerhalb der Freizeiten wieder Leben in den kleinen Ort, in dem heute nicht einmal ein Zehntel der Einwohnerzahl vor der Vertreibung erreicht wird. Auch wenn es wenige sind, musste sich das Verhältnis zu den Pilsener Neuankömmlingen erst einmal einspielen. Gefallen hat es hier auch jungen tschechischen Musikern aus der Umgebung (Lidová muzika z Chrástu – Volksmusik aus Chrast), die in der Landschaft um Böhmisch-Domaschlag, die sie immer wieder besuchen, einen kleinen, aber flotten Musikfilm gedreht haben.

Innenansicht aus der Sankt-Jakobs-Kirche in Böhmisch Domaschlag 2018
Lidová muzika z Chrástu – Volksmusik aus Chrast

Der Kontakt der ehemaligen deutschen Bewohnern nach Böhmisch-Domaschlag war nie wirklich abgerissen. Einzelne Verbindungen bestanden auch während des Kommunismus, wenngleich natürlich nicht so offen wie heute. Im Jahr 2007 fand das erste „Treffen/Setkání“ statt – eine Zusammenkunft des Vereins mit ehemaligen und heutigen Domaschlagern. Zwei Jahre später setzten sich Jugendliche aus dem Grenzgebiet zwei Wochen lang mit Gegenwart und Geschichte des Ortes und der Region auseinander. Zu dem Projekt, das in Kooperation mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V. durchgeführt wurde, gehörten neben umfangreichen Instandhaltungsarbeiten auch eine Reihe von Gesprächen der jungen Menschen mit den ehemaligen und heutigen Bewohnern sowie eine Ausstellung. Die aufschlussreichen und ansprechend illustrierten Interviews sind in dem Bändchen „Jako doma – wie zu Hause“ nachzulesen, das im Internetangebot des Vereins (http://www.domaslav.cz) veröffentlicht ist.

Das Pfarrhaus in Böhmisch Domaschlag 2018

Das „Treffen/Setkání“ findet weiterhin jeden Sommer statt – stets an einem Sonnabend um den Festtag des Gemeindepatrons Jakobus. Die Zahl der ehemaligen deutschen Bewohner, die daran teilnehmen, wird immer geringer, dafür toben die Kinder der Vereinsmitglieder durch den großzügigen Garten des Pfarrhauses. Der freundliche und zugewandte Pfarrer Šašek aus Plan/Planá zelebriert die zweisprachige Heilige Messe zur Eröffnung des Treffens. Wäre Gottes Bodenpersonal überall so aufgestellt, so bemerkte eine Teilnehmerin beim letzten Mal, würden der katholischen Kirche auch weniger Gläubige weglaufen. Böhmisch-Domaschlag zieht offenbar engagierte Menschen geradezu an, seien es Pfarrer, Jugendliche, Einwohner oder Besucher. Das alte Pfarrhaus jedenfalls liegt mitten im Zentrum dieses Magnetfeldes.

Der Beitrag ist im Heimatbrief für die Bezirke Plan-Weseritz und Tepl-Petschau, Feber 2020, erschienen