Herr, Du hast mich gerufen, ich komme.

Im Februar 2019 habe ich an dieser Stelle über die Gräber unserer Vorfahren im Internet berichtet. Das Vorhaben, die Grabsteine weiterer Friedhöfe in der weiteren Umgebung von Weseritz (Bezdružice) zu fotografieren, konnte ich im zurückliegenden Sommer fortführen – in Mariafels (Slavice), Plan (Planá), Punnau (Boněnov), Schippin (Šipin), Schweißing (Svojšín), Tschernoschin (Černošín), Eisenhüttel (Záchlumí), Leskau (Lestkov), Obergosolup (Horní Kozolupy), Scheibenradisch (Okrouhlé Hradište) und Kurschin (Kořen). Meine Blicke und Gedanken blieben dort oft an verblassten oder überwachsenen Inschriften hängen. Auf den Friedhöfen in Schippin und Schweißing boten diese ein besonders vielfältiges Bild. Einige Eindrücke möchte ich hier gerne teilen.

Vater und Mutter zu ehren ist auf den Friedhöfen nicht das vierte, sondern das erste Gebot, so auch im Falle dieses Unbekannten in Schippin:

Was unser Vater uns gewesen,
Das sagt nicht dieser Leichenstein,
Doch Mit- und Nachwelt sollen lesen,
Das wir auf ewig Dank ihm weih’n.

Während Väter in der Regel solch weltlichen Dank ernten, werden Müttern schon mal höhere Weihen zuteil – auch dies ein namenloses Schippiner Grab:

Mutter in des Himmels Höhen,
Schau segnend auf uns herab,
Wo Gatte und Dein Kind hier stehen,
Trauernd hier an Deinem Grab.

Der in Schweißing bestatteten Franziska König aus Praschka (Pražka) gönnen die Kinder immerhin ganz uneigennützige, jenseitige Freuden, nachdem sie 64jährig aus dem Leben geschieden war:

Gute Mutter, nun erlöst von Leiden,
Decket Dich der Friedhofshügel zu,
Dein Geist genießet Himmelsfreuden,
Ohne End in jener ew’gen Ruh!

Grabstein auf dem Friedhof in Schippin 2019

Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen – diese Benimmregel haben sich die Angehörigen von von Engelbert Schuster, einem im 45. Lebensjahre verstorbenen Heger aus Pokeslav (Pakoslav), zu Herzen genommen, nachdem sie ihn im Jahre 1927 in Schippin bestatten mussten:

Als Gatte, als Vater, als Freund,
Ruht hier, von vielen beweint,
Ein Mann der Tugend stets übte,
Und Treue und Redlichkeit liebte.

Das Grab der im 29. Lebensjahre verstorbenen Kathi Hammerl aus Pittlau (Pytlov) befindet sich auf dem Schweißinger Friedhof:

Ein kurzer Traum nur war Dein Leben.
Doch wird uns nie Dein Bild entschweben.
Du warst gebrochen ehe wir’s gedacht.
Wie eine zarte Knospe über Nacht.

Als tragisch haben Eltern schon immer den Tod von Kindern empfunden, wenngleich er früher sicher häufiger vorkam als heute. Der kleine Hans Götz aus Schweißig starb 1922 im Alter von einem halben Jahr:

Dem Englein rein und zart
Ward Erdenleid erspart.

So mancher Reim wie jener auf dem Grabstein des im Jahre 1931 in Schippin beerdigten, zweijährigen Willibald Anton Rosner aus Müllowa (Mydlovary) erscheint heute ein wenig gewöhnungsbedürftig:

Dem Vater und des Mutter mein,
War ich ein liebes Söhnchen.
Gott aber, dem ich lieber war,
Nahm mich auf zur Engelschar.

Kommt der Tod nicht immer zu zeitig? So empfanden das wohl auch die Angehörigen der Theresia Kohut aus Gesürzen (Jiřské). Sie starb im Jahre 1942 mit fast 70 Jahren und fand in Schweißing ihre letzte Ruhe:

Früh bleicht der Tod die Wangen,
An denen unser Herz gehangen,
Der Herr ist nun Dein treuer Hort,
Sein Segen blüht dir fort und fort,
In seines Reiches Herrlichkeit,
Bringt Freuden und die ew’ge Zeit.

Auf dem Grabstein von Andreas und Marie Zimmer aus Praschka, gestorben in den Jahren 1909 und 1916, hat sich der Patriotismus des Ersten Weltkriegs bereits in die Wortwahl eingeschlichen:

Ins Vaterland,
In jene besseren Höhen,
Führt uns der Tod,
Bis wir uns wiedersehen.

Vermutlich dem Sohn der Verstorbenen – Infanterist Karl Zimmer, gestorben 21jährig im Jahre 1917 in Pilsen (Plzeň) – ist eine Gedenkplatte gewidmet, die an den Grabstein der Zimmers angelehnt ist. Aus dem himmlischen Vaterland der Eltern wurde hier schnell eines, das ganz von dieser Welt war:

Ein Krieger aus bedrückter, böser Zeit,
Dem Kaiser treu, dem Vaterland ergeben,
Mit Eifer dem Beruf geweiht,

Hat vollbracht ein edles Menschenleben.

Die meisten Eltern konnten ihren Söhnen, die im Ersten Weltkrieg nachgerade verheizt worden waren, nur einen Gedenkstein widmeten, weil deren sterblichen Überreste nie überführt wurden. So ruht wohl auch der 31jährige Vater Andreas Sturm aus Losau (Lažany) in fremder, russischer Erde. Er wurde bereits im ersten Kriegsjahr vermisst:

Sein Leben stand in Gottes Hand,
Denn er starb für’s Vaterland.

Grabstein auf dem Friedhof in Schweißing 2019

Buchstaben gab es nicht umsonst. Im Falle des Franz Glosauer aus einer Schweißiger Müllersfamilie lässt die Sparsamkeit der Angehörigen ihre Nachwelt rätseln:

absol. Gimniasiast der nach 6 jäh. sieb Gefangsch.
sanft im Herrn am 25.8.1924 im 30. Lebensj. entschlafen ist – R.I.P.

Der Obergefreite Anton Denglmann aus Lohm starb 1942 im dreißigsten Lebensjahr im Lazarett in Marienbad (Mariánské Lázně), bestattet ist er auf dem Friedhof in Schweißing:

Teilnehmer an den Feldzügen Luxemburg, Belgien, Frankreich, am Balkan und Russland, eine heimtückische Krankheit, die er sich im Osten zuzog, raffte ihn dahin. Meine Hoffnung sank ins Soldatengrab, in uns lebt er weiter. Die Heimaterde sei Dir leicht!

Wenige Jahre später sollten Flüchtlinge und Vertriebene in der späteren Bundesrepublik mit ganz ähnlichen Worten bestattet werden: Die fremde Erde sei Dir leicht!

Eindeutig religiöse Bezüge fand ich ziemlich selten. Mich hat das überrascht, steht der katholische Glaube in den Erzählungen über Kultur und Tradition der alten Heimat doch oft im Mittelpunkt.

Ihr rufen unsere Tränen,
Den Abschiedsgruß zur Gruft,
Erfüllt wird unser Sehnen,
Dann, wenn auch Gott uns ruft.

Gerufen wurde in diesem Fall die 74jährige Theresia Heieis aus Müllowa, gestorben am 24. August 1923, bestattet auf dem Friedhof in Schippin.

Ganz fromm verschied Marie Prockl aus Müllowa (1936 – 1917). Das meinten jedenfalls ihre Angehörigen, die ihr auf dem Schippiner Friedhof folgenden Nachruf widmeten:

Selig alle die dem Herrn entschliefen.
Selig Mutter, selig bist auch Du.
Engel brachten Dir den Kranz und riefen.
Und Du gingst zu Deines Gottes Ruh.

Religiöse Utopien werden nur ausnahmsweise beworben, so zum Beispiel von den Angehörigen des Wenzel Hampl aus Kschellowitz (Křelovice), gestorben im Mai 1922 als 25jähriger, bestattet in Schippin:

Mag das Grab mich immer decken,
Er, mein Jesus, wird mich wecken,
wenn der große Tag erscheinet,
Der sein Volk vor ihm vereinet.

Von einer Auferstehung ist kaum die Rede. Die meisten Gräber hat der Gekreuzigte fest im Blick. Manchmal klingt der Blick ins Jenseits aber auch recht erfrischend – wie im Falle des Hans Rupp, der seit dem Jahre 1954 auf dem Schweißinger Friedhof begraben liegt:

Aus fernen Himmelshöhn
Winkt ein frohes Wiedersehn.

Mitunter gerät die Trauer ein wenig anklagend, vielleicht auch trotzig, wie in diesem namenlosen Fall:

Dein treues Herz hört auf zu schlagen,
Weilt in einem höheren Licht,
Du hörest nicht der Kinder Klagen,
Siehst Deiner Lieben Tränen nicht.

Manche Hinterbliebene legten den Toten ihre Worte in den Mund, sodass der Eindruck entsteht, diese würden den Besucher aus ihren Gräbern heraus unmittelbar ansprechen. Barbara Mattis aus Pokeslav, die im Jahre 1917 im Alter von 63 Jahren verstarb, fordert auf diese Weise:

Tretet her zu meinem Grabe,
Störet mich nicht in meiner Ruh,
Denkt was ich gelitten habe,
Gönnt mir jetzt die süße Ruh.

Erstaunlich fand ich, dass manche Inschriften sich um die Verstorbenen überhaupt nicht kümmern, sondern ganz allgemein an die Friedhofsbesucher appellieren. So ließen die Hinterbliebenen von Johann und Anna Karnoll aus Kschellowitz, gestorben 1937 und 1926 auf dem Friedhof in Schippin, wissen:

Auch uns schlägt einst die Stunde,
Wo matt das Auge bricht,
Wenn Gottes Hand uns winket,
Dann steigen wir zum Licht.

Aber auch schlichte Abschiedsworte wie jene für Wenzl und Anna Schmitzer aus Gesürzen, die in den Jahren 1936 und 1924 in Schweißing beigesetzt wurden, verfehlen ihre Wirkung nicht:

Euch der Friede.
Uns der Schmerz.

Kurz und bündig verabschiedete sich Wilhelm Günzel, Militär- und Distriktsarzt, gestorben 78jährig im Feber 1917, auf dem Schweißinger Friedhof:

Herr, Du hast mich gerufen, ich komme.

Der Beitrag ist im Heimatbrief für die Bezirke Plan-Weseritz und Tepl-Petschau, Mai/Juni 2020 (Teil 1) und Juli 2020 (Teil 2), erschienen